Dietrich Fischer-Dieskau

Aus einer Kritik von Hans Heinz Stuckenschmidt über Dietrich Fischer-Dieskaus "Falstaff":

Da sitzt er im Lehnstuhl von Caspar Nehers altenglischer Kneipe, verkommen und liebenswert, Löckchen rund um die Glatze, vergnügte Schelmenaugen über der Stupsnase, mit Grübchen und einem Mund, der blitzrasch vom genüßlichen Lächeln in Haudegen-Zorn umschaltet. Mächtig hebt sich sein Corpus, 'dieses Prachtgebäude', mit dem kolossalen Wanst auf dünnen Riesenbeinen. Ein Jupiterbild steht vor uns, und es hebt zu singen an.

Da fließen die Töne aus einer unerschöpflichen Fülle der Register, der parodierenden und belcantierenden Farben, von Bassestiefen bis ins erstaunliche Falsetto, das die imaginäre Weiberstimme nachahmt... Da grollen die Fragen an den rastlosen Pistol... da verklärt sich ein Pianissimo im Nachgenuß eines Sardinchens, da federt das leichte A-Dur-Parlando des Pagenliedes. Das alles ist lückenlos richtig, aus einer perfekten und dabei von innerer Emotion bewegten Singkunst gewachsen, eine Meisterleistung sui generis. Was aber wäre es ohne die mimische und gestische Ergänzung!

Fischer-Dieskaus Hände, wenn er das Wort ‚Ehre' als leeren Schall in die Lüfte verabschiedet, wenn er lüstern und chevaleresk Alicen an den Kleiderausschnitt 
rührt... Jede Bewegung sitzt, ist beobachtet, wird künstlerisch kontrolliertes Leben. Dieser Falstaff ist eine der beglückendsten Shakespeare-Figuren auf den 
Berliner Bühnen seit 1945.