Karlheinz Stockhausen

Aus der Laudatio von Wolfgang Rihm:

Stockhausens Komponieren hat die Arbeit mit Formeln, Gestaltableitungen und verschiedenen Vollkommenheitsgraden erstmals einsehbar werden lassen. Es gab in der Geschichte auch schon Komponisten, die mit ähnlichen Problemen umgingen (Beethoven — Wagner — Schönberg), die aber das Ergebnis wieder einer Un-einsehbarkeit überantworteten. Es steht hier nicht zur Diskussion, wie man sich persönlich entscheidet — wo man Kunst ansetzen läßt: im Verborgenen, im Offenen (das können wir jetzt nicht entscheiden) -, aber ich kenne keine Musik heute, die so sehr wie die Stockhausens einsehbar klar gefaßt ist in Gestalten, deren Voraussetzung und Umformung bis hin zur Dekomposition.

Wie etwas wird, wie etwas ist, wie etwas vergeht — ohne daß es lehrhaft vorgeführt würde, sondern indem an seinem Sein und Vergehen Teilhabe möglich ist -, das ist wohl kaum mit einer größeren Klarheit komponierbar, als sie Stockhausen zum Beispiel in der Komposition "Inori" erreicht hat. Die Parameter kommen nicht von außen auf die Musik zu, sondern sie kommen von selbst in Gang, sie bringen die Musik aus ihrem Innern hervor. Aus Rhythmus entsteht Klangfarbe, aus Klangfarbe Harmonik, bis die Gesamtgestalt im Einzelton präsent ist, aus dem sie erwuchs. Dieses Denken, diese gesteigerte Denkmöglichkeit, ist ohne die Entwicklung der elektronischen Musik nicht vorstellbar, wo die Komposition im Ton die Komposition mit Tönen bereichert, wenn nicht abgelöst hat. Stockhausens Pionierleistungen auf diesem Gebiet erlauben es heute schon, von der klassischen Periode der elektronischen Komposition zu sprechen.