Samy Moussa

Der hedonistische Komponist

Der schönste Satz über sein Selbstverständnis als Komponist fällt gegen Ende unseres Gesprächs: Er komponiere, so Samy Moussa, um sich selbst Freude zu bereiten. In der einen oder anderen Form gilt das vermutlich für alle Komponisten. Im Falle des 1984 in Montreal geborenen Moussa, der seit 2007 in Europa lebt und auch als Dirigent erfolgreich ist, scheint es aber ganz besonders zuzutreffen. Wie er über seine Arbeit und seine Pläne, seine Vorlieben und Abneigungen spricht, lässt sehr schnell erkennen, dass für ihn Musik – die eigene und die fremde gleichermaßen – eine Sache des unmittelbaren Erlebens und des direkten, subjektiven Hingerissenseins ist. Das sind gute Voraussetzungen für einen Komponisten, wenn er, wie Samy Moussa, die gleiche Hingabe auch bei den Hörern seiner Musik entfachen will. Komponieren als individuelle Wunscherfüllung schließt so eine besondere Zugewandtheit zu den Hörern nicht aus. Beides scheint sich vielmehr gegenseitig zu bedingen: Hedonismus ist für die Kunst ein fruchtbarer Boden. Wie aber macht man sich komponierend eine Freude? Samy Moussa hat für sich eine persönliche Grammatik entwickelt, eine harmonische Sprache auf der Basis unterschiedlicher Skalen und daraus abgeleiteter Akkorde, die in seinem Sinne auch als eine Form von „neuer Tonalität“ fungieren können. Was damit gemeint sein kann, zeigt beispielsweise sein Orchesterwerk Cyclus (2007), dessen Harmonik Quintverwandtschaften ebenso kennt wie die Belegung bestimmter Klänge mit harmonischen Funktionen. Aus dieser Grammatik – die auch in Werken wie dem Kammerkonzert (2006) präsent ist – erzeugt er einzelne Gesten ebenso wie ganze Klangblöcke, die er anordnet und im orchestralen Raum verschiebt, ähnlich einem Maler, der seine Farbflächen durch Pinselstärke und Intensität des Farbauftrags variierend gestaltet. Es entspricht diesem kompositorischen Zugriff, dass Samy Moussa sich mit Vorliebe der großen Besetzung widmet, dem Orchester oder dem umfangreichen Ensemble. Und es fügt sich zu den von ihm verwendeten malerischen Analogien, dass er auch polyphone und kontrapunktische Verfahren seinem kompositorischen Denken  anverwandelt. Wie die ebenso verführerische wie gewalttätige Klangpracht seiner 4 Études pour grand orchestre von 2008/09 demonstriert, entzündet sich sein schöpferischer Impuls dabei jedoch stets am energetischen und kontrastreichen Spiel der Farben, weniger am Ineinander sich überlagernder und kreuzender Linien. 
Klarheit und – für Moussa die Grundlage ästhetischen Wohlgefallens überhaupt – Wiedererkennbarkeit sind seine Maximen auch dort, wo die Besetzung klein bleibt. Sein Stück Ruah für Akkordeon (2010) und auch sein Streichquartett (2012) erproben sie bis an die Grenzen zum Minimalismus. Andererseits fordert gerade Ruah aber in spieltechnischer und vor allem physischer Hinsicht Maximales. Abgehandelt wird zum einen der Aspekt der „Erschöpfung“, der Atemlosigkeit, auf die auch der Titel – „Ruah“ meint im Hebräischen „(Lebens-)Hauch“, „Geist“, „Odem“, bei Lebewesen aber auch „Atem“ – hinweist: diese Atemlosigkeit wird im Stück zu einem poetischen Paradoxon, da das Akkordeon zwar „atmet“ (durch seinen Balg), gleichwohl aber unbelebt ist. Zum anderen aber will das Stück Körperliches nicht nur abbilden, sondern auslösen, will es nicht nur die ästhetische Reflexion, sondern die gleichsam viszerale Unmittelbarkeit ansprechen. Hier liegt ein besonderes Merkmal der Musik Samy Moussas: Die Freude, die er sich und uns mit ihr bereiten will, sowohl als Dirigent wie als Komponist, soll immer auch eine direkt körperlich erfahrbare sein.

Markus Böggemann