Grußworte

Grußworte Dieter Borchmeyers, Vorsitzender des Stiftungsrats der Ernst von Siemens Musikstiftung und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste

Herr Kardinal,
meine sehr verehrten Damen und Herren, 
hochverehrter, lieber Aribert Reimann,

als Vorsitzender des Stiftungsrates der Ernst von Siemens Musikstiftung und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste habe ich heute Abend erneut die Ehre und Freude, Sie aus Anlass der Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises im herrlichen Cuvilliés-Theater willkommen zu heißen. 

Die Ernst von Siemens Musikstiftung vergibt im Jahre 2011, Sie haben es gehört, 2,5 Millionen Euro für rund 150 Projekte weltweit – 200.000 Euro mehr als im vergangenen Jahr. Und im nächsten Jahr werden es nach dem heutigen Beschluss des Stiftungsrats noch einmal 200.000 Euro zusätzlich sein. Seit 1973 verleiht die Ernst von Siemens Musikstiftung nun ihre Musikpreise. Man darf behaupten, dass die Namen der Hauptpreisträger – in dem inzwischen zur Regel gewordenen Wechsel von Komponisten und Interpreten – einen repräsentativen Querschnitt durch das zeitgenössische Musikleben bilden. Dieser Hauptpreis soll der in alle Welt ausstrahlende Leuchtturm sein, der den musikalischen Schiffen die Wege weist und der Ernst von Siemens Musikstiftung ihre weltweite Ausstrahlung ermöglicht, ihren Förderpreisen gewissermaßen das Adelsprädikat verleiht. Er ist nicht weniger, aber auch nicht mehr als ein solcher Leuchtturm, denn es sollte nicht vergessen werden, dass die Gesamtsumme der verliehenen Förderpreise mehr als zehnmal so hoch wie diejenige für den Hauptpreisträger ist.

Der 38. Hauptpreisträger der Ernst von Siemens Musikstiftung seit 1973 heißt Aribert Reimann, den ich in Bewunderung und Herzlichkeit begrüße und beglückwünsche. Mein Gruß und Glückwunsch gilt ferner – stellvertretend für alle Empfänger der breitgestreuten Unterstützungen von Seiten der Ernst von Siemens Musikstiftung – den Komponisten Steven Daverson, Hèctor Parra und Hans Thomalla, den Trägern der diesjährigen Komponisten-Förderpreise, deren Auftragskompositionen soeben uraufgeführt wurden, ich danke herzlich den musikalischen Interpreten des heutigen Abends sowie Thomas von Angyan, dem Vorsitzenden des Kuratoriums der Ernst von Siemens Musikstiftung, der uns so kundig mit den Trägern der Komponisten-Förderpreise bekannt gemacht hat, und nicht zuletzt dem heutigen Laudator für Aribert Reimann: Stephan Mösch, Redakteur der Opernwelt sowie renommierter Musik- und Theaterwissenschaftler, dessen wegweisendes Buch über Parsifal in Bayreuth aus dem Jahre 2009, mit dem er sich an der Universität Bayreuth habilitiert hat, im vergangenen Jahr zufällig von meiner Wenigkeit in der Zeitschrift Musik und Ästhetik rezensiert und gerühmt worden ist. Aribert Reimann könnte keinen kundigeren Laudator finden als ihn, der auch Schüler von ihm in seiner Berliner Lied-Klasse gewesen ist.

Lieber Aribert Reimann, als Akademiepräsident und Wahlmünchner erfüllt es mich mit besonderem Stolz, dass Du in diesem Jahr den Ernst von Siemens Musikpreis erhältst. Bist Du doch unserer Akademie als ordentliches Mitglied seit vielen Jahren eng verbunden, hast manchen Abend in ihr zum unvergesslichen Erlebnis werden lassen, und Du hast mir einmal gestanden, von einem Publikum wie in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste könne man als Musiker nur träumen. Du hast in München wirklich Musik- und Theatergeschichte geschrieben, wenn ich an die vielen Aufführungen Deiner Opern im Nationaltheater und Gärtnerplatztheater – drei Deiner Opern: Lear, Troades und Bernarda Albas Haus sind ja hier uraufgeführt worden – oder etwa an Deine Liederabende mit Dietrich Fischer-Dieskau zurückdenke, dem Du seit mehr als 50 Jahren als Klavierbegleiter verbunden bist. Fischer-Dieskau hat Dich auch zur Komposition des Lear angeregt, dessen Uraufführung im Nationaltheater vor 33 Jahren – mit der Du zweifellos Deinen großen Durchbruch erlebtest – allen, die das Glück hatten, dabei zu sein, als einzigartige Sternstunde des Musiktheaters unverlierbar in der Erinnerung haften geblieben ist, in der genialen Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle, der hier als Regisseur und Bühnenbildner in ganz neue, für ihn ungewöhnliche szenische Bildbereiche vorstieß – mit Julia Varady als Cordelia und Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelrolle, in der dieser zum letzten Mal überhaupt in München auf der Opernbühne stand, sowie Colette Lorand in der Rolle der Regan. Colette Lorand ist heute Abend zugegen, und ich begrüße sie von Herzen. 

Als Du Dich mit dem Gedanken trugst, Deine vorerst letzte Oper Medea zu schreiben, und zwar nach der Version in Grillparzers Goldenem Vließ – auch dazu kam die Anregung nicht etwa aus Wien, wo sie im vergangenen Jahr ihre grandiose Uraufführung erlebte, sondern aus München: nämlich von Klaus Schultz, der seinerzeit die Uraufführung des Lear dramaturgisch begleitet und über ihn ein schönes Buch herausgegeben hat und den ich heute ebenfalls im Publikum sehe und begrüße –, da hast Du mich einige Male um Rat gefragt, da Du etwas aus meiner Feder über den so großen wie verkannten österreichischem Dramatiker gelesen hattest, und wir haben uns gemeinsam bemüht, an den unveröffentlichten und so gut wie unbekannten musikalischen Nachlass Grillparzers zu gelangen, den außer Eduard Hanslick wohl noch niemand wirklich studiert hat. Du kamst sogar auf die kühne Idee, für Medeas Lied, das sie mit Kreusa für Jason einstudiert hat, eine Originalkomposition Grillparzers zu verwenden. Tatsächlich hast Du den Sirenengesang Grillparzers, seine Vertonung der berühmten Verse aus dem zwölften Gesang der Odyssee in ihrer originalen griechischen Gestalt, in jene Szene, „hörbar in Harfe und Celesta“, eingeschmolzen, wie Du mir noch vor wenigen Tagen in einem Brief verraten hast. „Damit war ein Problem, wie ich mit dieser Szene und dem Gespräch zwischen Medea und Kreusa umgehen soll, gelöst!“ So schriebst Du. Kaum zu fassen: nicht nur der Dichter, sondern auch der ganz unbekannte Komponist Grillparzer ist in Deinem Meisterwerk, subtil verborgen, anwesend. 

In einem Gespräch hast Du einmal gesagt, Du seiest außerstande, Personen zu komponieren, in die Du Dich nicht hineinleben könntest, die Du nicht mit Dir – und Dich mit ihnen – identifizieren könntest. Diese Gabe der Empathie bewirkt aber auch die Sympathie des Zuschauers im ursprünglichen griechischen Sinne: Furcht, Mitleid und Katharsis des Publikums. Und wer Deine Medea in Wien, Frankfurt oder selbst auf der fabelhaft gelungenen DVD erlebt hat, weiß von der Erschütterungskraft Deiner Musik und tragischen Gestaltung der Personen in dieser meiner unmaßgeblichen Meinung nach bedeutendsten aller Medea-Opern der Musiktheatergeschichte. 

Was Dich an Grillparzer besonders gefesselt hat, hast Du in einem Gespräch unter anderem in die Worte gefasst, in keiner anderen Version werde Medea so sehr als Fremde, als „Nicht-Angenommene“, gegen die sich alle sperren, dargestellt. Das goldene Vließ ist im Grunde die tragische Variante von Karl Valentins Aperçu: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“. Unvergleichlich, wie Du das in der musikdramatischen Verdichtung von Grillparzers Text zum Ausdruck gebracht hast. Als leidenschaftlicher Liebhaber von Grillparzers dramatischer Kunst habe ich bewundert, wie Du szenische Tendenzen dieses fast musikalischsten aller großen Dramatiker dem Musiktheater zugeführt hast – etwa die bei ihm schon keimhaft angelegte Verwandlung sukzessiv aufeinander folgender Szenen in simultan sich abspielende, die sich im reinen Schauspiel eben noch nicht als wirklich simultane gestalten ließen – oder wie Du die gleichsam für das Einströmen der Musik ausgesparten sprachlichen Freiräume des Dichters musikalisch auszufüllen und zu erfüllen verstanden hast. Nicht nur rein musikalisch, sondern auch dramaturgisch, als Libretto, ist diese Medea ein Meisterwerk, an dem Grillparzer seine Freude gehabt hätte. 

Ich höre auf, sonst komme ich ins Schwärmen. Ich möchte da doch lieber dem sachkundigeren Stephan Mösch das Wort geben. Nach seiner Laudatio werden wir von Anna Prohaska, Jörg Widmann und Axel Bauni das Trio für Sopran, Klarinette in A und Klavier ni una sombra aus dem Jahre 2006 hören. Ni una sombra – das ist schon die Welt von Grillparzers und Aribert Reimanns Medea, die am Ende dem vernichteten Jason entgegenruft: „Was ist der Erde Glück – Ein Schatten! / Was ist der Erde Ruhm? Ein Traum! / Du Armer! Der von Schatten du geträumt! / Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.“ Das ist die desillusionierende, die Hybris der Macht, das Besessensein von Besitz und Glanz ad absurdum führende Schlussweisheit der Medea.

Dass einer der hervorragendsten Komponisten unserer Zeit: Jörg Widmann in Reimanns Trio selber die Klarinette spielt, ist die wohl schönste Hommage an den großen Komponisten Aribert Reimann, den wir heute feiern und beglückwünschen.