Laudatio

Aufrechte Haltung und Sinnlichkeit

Laudatio auf Friedrich Cerha
anlässlich der Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises
am 22. Juni 2012 im Cuvilliés‐Theater München

von Peter Hagmann

 

86, meine Damen und Herren – im Alter von 86 Jahren ist es ein Leben auf der Kante, das wissen wir alle. Dass ein solches Leben auf der Kante als ein vollgültiges, erfülltes Leben geführt werden kann, auch das mag bekannt sein. Selten aber zeigt es sich so eindrucksvoll wie bei Ihnen, verehrter, lieber Ernst von Siemens Musikpreisträger Friedrich Cerha. Ich war ja zu Besuch bei Ihnen in Wien – zu einem Ehrenbesuch und einem Informationsbesuch. Ich sah mich auf das Freundlichste empfangen in der Mehrfamilienvilla am westlichen Stadtrand von Wien, sass einem Künstler gegenüber, dessen reiches Leben den Raum voll und ganz erfüllte, und bekam auf meine Fragen nicht nur akkurat richtige, sondern auch druckreif ausformulierte Antworten. Auch Friedrich Cerha dürften die Widrigkeiten des gestiegenen Lebensalters bekannt sein – aber was für eine aufrechte Haltung, was für eine Gelassenheit, vor allem: was für ein Wille, einfach voranzuschreiten und weiterzumachen. Ein Vorbild.

Aufrecht zu bleiben, das hat Friedrich Cerha schon in der Familie gelernt. Es gibt diese kleine Geschichte aus der Jugendzeit, da der Knabe von seinem Vater 1934, als in Österreich Bürgerkrieg herrschte, in Wien an die Orte des Geschehens geführt wurde. Und da der Vater dem Sohne, der ob der Blutlachen erstarrt war, den lapidaren Satz sagte: «Da siehst du, was Menschen Menschen antun können.» Nicht nur die Abscheu vor Gewaltanwendung, sondern auch die Warnung vor Indoktrination, mithin der Aufruf, eine eigene Position zu entwickeln und jederzeit aus ihr heraus zu handeln, kommt hier zum Ausdruck. Zwei Jahre später hat Friedrich Cerha seinen Vater beim Wort genommen – und davon berichtet ein sehr schönes Filmporträt, das Felix Breisach im Rahmen eines Projekts mit österreichischen Komponisten für den ORF produziert hat, das aber bis heute nicht ausgestrahlt worden ist. Die Rede kommt dort auf ein Ferienheim, in dem der zehnjährige Friedrich Cerha untergebracht war und aus dem er ausgebüxt ist. Es sei nämlich, so berichtet der Komponist, eine Gruppe von Fahrenden vorbeigekommen, deren Musik ihn derart fasziniert habe, dass er sich ihnen mit der Geige, die er vom Vater erhalten hatte, kurzerhand angeschlossen habe. Sehr genau erinnere er sich an den strengen Geruch, den die Jacke der Zigeunerin verströmt habe. Wer denkt da nicht an die Madeleine aus der Feder Prousts? Vor allem aber: Wer sieht da nicht die sozusagen präerotische Sinnlichkeit, welcher der Knabe verfiel? Aufrechte Haltung und Sinnlichkeit – das sind die beiden Stichworte, die uns jetzt einen Augenblick lang begleiten sollen.

Die aufrechte Haltung, die den Menschen Friedrich Cerha auszeichnet, sie wurde einige Jahre später einer denkbar schweren Prüfung unterzogen – oder sollte man vielleicht sagen: Sie hat ihn vor Schlimmerem bewahrt? Eingezogen zur Fliegerabwehr stand der Gymnasiast zusammen mit gleichgesinnten Kameraden vor der Frage, ob sie die Flugzeuge treffen und damit zur Verlängerung des Kriegs beitragen wollten, oder ob sie, was sie dann taten, daneben zielen und so ihre Familien gefährden sollten. Später zu militärischer Ausbildung nach Dänemark verbracht, gelang es Friedrich Cerha zu entwischen. Da sass also dieser blutjunge Mann in einem dänischen Fischerdorf beim Frühstück und flüsterte der Kellnerin zu, er sollte untertauchen können. Zufälligerweise stand die Frau auf der richtigen Seite; sie verschaffte ihm Zugang zu Kreisen des deutschen Widerstands, und so begann eine Rundreise, die am Ende aber doch nichts anderes als den Wiedereintritt in die Wehrmacht ergab. Indessen entkam Friedrich Cerha ein zweites Mal. Glück, Mut und Ausdauer ermöglichten ihm, die eintausend Kilometer Fussmarsch durchzustehen, die bei einer Schutzhütte in den Tiroler Alpen endete. Da war er nun: gerettet, aber Deserteur – und damit in bester Gesellschaft, zum Beispiel mit dem Dichter H. C. Artmann.

Keine Frage, ein solcher Lebensbeginn zeichnet. Die aufrechte Haltung hatte ihm das Leben gerettet; und in den Alpen, ihrer Stille und ihrer direkten Naturschönheit, konnte er sein Gleichgewicht zurückfinden, aber auch eine Sinnlichkeit von eigener Kraft entdecken. Mag sein, dass das geschenkte Leben zu jener Achtsamkeit, jener ruhigen Einlässlichkeit geführt hat, mit der Friedrich Cerha den Menschen um ihn wie auch, zum Beispiel in seinem Refugium in Maria Langegg, den Tieren und den Pflanzen begegnet. Vielleicht aber auch zum Wissen darum, was es braucht, um an ein Ziel zu gelangen – oder umgekehrt: dass man sein Ziel nur dann erreicht, wenn man bis zum Letzten sich selber bleibt. Als Friedrich Cerha 1956 zusammen mit Kurt Schwertsik zu den Ferienkursen nach Darmstadt aufbrach, entfloh er erneut: diesmal der ästhetischen Enge, die in Wien noch bis weit über das Ende der Besatzung hinaus herrschte, und den verhängnisvollen, weil durch ihre Vergangenheit korrumpierten Seilschaften, die das Sagen hatten. In Darmstadt kam er in Kontakt mit dem unglaublichen Aufbruch, den die neue Musik damals erlebte, bekam er auch ein Gefühl für ihre internationale Dimension. Allein, er geriet alsbald vom Regen in die Traufe. Die autoritäre Art, mit der die Wortführer der Darmstädter Schule ihre Auffassungen als neue Doktrin durchzusetzen versuchten, stiess ihn ab. Schon in der Form, vollends aber in der Sache geriet er in Widerspruch zu den neuen Maximen. Heute scheut sich Friedrich Cerha nicht, von der Herrenreitermentalität zu sprechen, die ein später rasch berühmt gewordener, inzwischen verstorbener Berufskollege zur Schau gestellt hat. Und nicht ohne leise Schadenfreude erinnert er sich daran, welche Folgen der Auftritt des Amerikaners John Cage und seines Komponierens mit Hilfe des Zufalls 1958 in Darmstadt zeitigte.

Darmstadt war in zweifacher Hinsicht entscheidend. Zunächst für den Komponisten. Die Anregungen aus den Ferienkursen wiesen ihm den Weg – vorerst zu einem Komponieren im Geist der Serialität, wie er sich etwa in den «Relazioni fragili» von 1958 zeigt. Doch während die Darmstädter Lehrmeinung auf das kompositorische Material fokussiert war, vereinfacht gesagt: Struktur anstelle von Ausdruck in den Vordergrund rückte, was als unmittelbare Folge der Jahre vor 1945 zu verstehen ist, während es in Darmstadt also zum Beispiel um den einzelnen Ton ging, zielte Friedrich Cerha stets auf Zusammenhänge, auf Verläufe, letztlich auf Expression. Auf jene Sinnlichkeit also, ohne die es für ihn keine Musik gibt. Gerne erinnert er in diesem Kontext an Luigi Nono, der ihn gefragt habe, wieso er, begabter Kerl, der er sei, mit den neuen Mitteln alte Musik schreibe. Es mag falsch sein, mir erscheint es jedoch plausibel, von diesem Ansatz her zu «Spiegel I‐VII» von 1960 zu kommen, dem ersten Zentralwerk im reichen OEuvrekatalog Friedrich Cerhas. Es geht in diesem gewaltigen Entwurf um das Weiterdenken serieller Strukturen in die Masse hinein, um das Bilden klanglicher Konglomerate, die einem Organismus gleich zu atmen, sich aber nur unmerklich zu bewegen scheinen – um die Klangflächenkomposition also, die Friedrich Cerha gleichzeitig mit, aber unabhängig von György Ligeti entwickelt hat und die zur Signatur der frühen sechziger Jahre geworden ist. Indes bringen die «Spiegel» nicht nur Innovation auf der Ebene des Materials, sondern ebenso sehr eine neue Art des Ausdrucks. Sie sind im Grunde ja ein Werk des Musiktheaters, es gibt ein Szenar zur Partitur; und wer sich in diese Musik einlässt, stösst in ihr durchaus auf Verläufe, um nicht zu sagen: auf Geschichten, wortlose natürlich. Man kann sich ihr hingeben, ich entschuldige mich umgehend für den unpassenden Vergleich, wie einer Sinfonie Bruckners. «Spiegel I‐VII» ist nicht nur ein Meilenstein in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, es ist ein Meisterwerk, das inzwischen – wenn auch vielleicht heimlich, weil seine Aufführung mit exorbitanter Anstrengung verbunden ist – zum Kanon gehört.

Zurück nach Darmstadt – denn dort hat ein zweiter wichtiger Aspekt seine Wurzeln. Er betrifft den Interpreten. Seine liebe Mühe hatte Friedrich Cerha nämlich auch mit der Art und Weise, in der die Musik von Schönberg, Berg und Webern dort gespielt wurde. Viel zu schnell im Tempo, ja hektisch, viel zu gerade, ohne jede atmende Flexibilität, zu fern eben jeder Expression war ihm das. Wer die frühen Webern‐Aufnahmen mit Pierre Boulez kennt und, auf der anderen Seite, die Einspielung des Violinkonzerts von Berg mit Louis Krasner und dem BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Anton Webern, kann das nachvollziehen. Friedrich Cerha trat dagegen an – erst mit seiner Geige, bald aber auch als Dirigent. Zurück aus Darmstadt gründete er 1958 zusammen mit Kurt Schwertsik in Wien das Ensemble «die reihe», das in der Welthauptstadt der Musik ein Podium einzurichten suchte für das aktuelle Schaffen und seine unmittelbare Vergangenheit, das sich aber ebenso sehr um die spezifische Aufführungstradition der Zweiten Wiener Schule kümmern sollte. Einer Tradition, die auf das Engste verbunden ist mit dem Namen von Josef Polnauer, dem Musikwissenschafter jüdischer Herkunft, der im Inneren des Schönberg‐Kreises verkehrt hat und der, nachdem er den Krieg in einem Versteck überlebt hatte, sein Wissen an die jüngere Generation weitergab. Polnauer hat Cerha in den Proben der «reihe» beraten, wie Cerha Jahre später das von Beat Furrer ins Leben gerufene Klangforum Wien. Nicht hoch genug kann die Gründung der «reihe» aber noch aus einem anderen Grund geschätzt werden. 1958 gab es noch kein einziges all jener Spezialensembles, die heute für die neue Musik einstehen und darüber hinaus das Musikleben insgesamt produktiv beeinflussen. In Paris war zwar seit 1953 der von Pierre Boulez geleitete «Domaine musical» am Werk, mit einer ähnlichen Zielsetzung wie «die reihe», aber zum «Ensemble du Domaine musical» formierten sich die an der Konzertreihe beteiligten Musiker erst 1963. Ganz zu schweigen vom Ensemble intercontemporain, dem Ensemble Modern und all den anderen Gruppierungen dieser Art, die allesamt deutlich später gegründet wurden. Mit der «reihe», die er gegen massive Widerstände und selbst um den Preis, sich von behördlicher Seite mit einem Würstlverkäufer verglichen zu sehen, durchgesetzt hat, mit der «reihe» hat Friedrich Cerha Pionierarbeit geleistet – nicht zuletzt in der Serie «Wege in unsere Zeit», die er zusammen mit Hans Landesmann 1978 bis 1983 im Wiener Konzerthaus geleitet hat und die den Boden bereitet hat für das Festival «Wien modern».

Von unglaublich kämpferischer Natur muss er damals gewesen sein, denn 1962 hat sich Friedrich Cerha an ein anderes seiner Lebensprojekte gemacht – an eines, das noch mehr der aufrechten Haltung bedurfte als alles Vorangegangene. Die Rede ist, Sie wissen es, von «Lulu» und der Einrichtung des unvollendet gebliebenen dritten Aktes der Oper von Alban Berg. Die damals übliche Lösung mit der Pantomime und dem Ausschnitt aus den «Sinfonischen Stücken» erschien Friedrich Cerha als unbefriedigend, das ist leicht zu glauben. Und dass nach einer Aufführung der unvollendeten «Lulu» im Theater an der Wien Lothar Knessl vor der Secession bemerkt habe, vielleicht müsse man sich einmal über diesen dritten Akt beugen, kann man sich ebenfalls vorstellen. Aber dann die Anfrage an die Universal Edition, ob er das Material sichten und eine Einrichtung prüfen könne – war das nicht Hybris? Vor allem: War das nicht ein offener Aufstand gegenüber der Witwe Helene Berg, die jedes Berühren des Materials untersagt hatte? An Unkenrufen solcher Art fehlte es zu keiner Zeit, weder im Verlauf der Arbeit noch nach ihrem Abschluss; Friedrich Cerha hat sie überhört. Skrupulös, wie er ist, hat er das Vorhaben abgewägt. Mit der ihm eigenen intellektuellen Schärfe, aber auch Redlichkeit hat er seine fünfzehn Jahre dauernde Arbeit dokumentiert und damit transparent gemacht. Und mit einer Einfühlung sondergleichen hat er Handwerk wie Erfindungskraft in den Dienst eines seiner Altvorderen gestellt. Der Rest ist bekannt, die Uraufführung 1979 an der von Rolf Liebermann geleiteten Pariser Oper wurde zum Triumph. Obwohl ewiggestrige Opernhäuser noch heute am Fragment hängen, obwohl besonders schlaue Theaterleiter im allerletzten Moment das gewiss nicht unproblematische Paris‐Bild des dritten Aktes kurzerhand streichen, obwohl jetzt sogar weitere, ganz neue Fassungen des dritten Akts zur Diskussion gestellt werden, trotz alledem hat sich die dreiaktige «Lulu» von Berg und Cerha auf der ganzen Linie durchgesetzt. Hybris war das nicht, vielmehr ein äusserst starkes Bekenntnis zu der Tradition, in die sich Friedrich Cerha stellt.

Es klinge einfach sehr nach Cerha, wurde zu dieser «Lulu» gesagt – und nicht etwa nur von Neidern und Gegnern. Umgekehrt hiess es 1983, als bei den Salzburger Festspielen «Baal» zur Uraufführung gekommen war, die Spuren Bergs seien nicht zu überhören. Weder das eine noch das andere tangieren die Ehre; Cerha hat nie behauptet, Berg zu sein, und auf der anderen Seite ist seine Handschrift so ausgeprägt, so lebenskräftig, dass sie jeden Anklang zu tragen vermag. Jedenfalls behielt er sich, wiederum in aufrechter Haltung, das Recht auf das eigene kreative Tun vor und begann 1974, vier Jahre vor Abschluss der Einrichtung von «Lulu», mit der Arbeit an dieser Oper nach Bertolt Brecht; 1980 schloss er sie ab. Und auch hier wandelt er auf den Pfaden der ihm eigenen Sensualität – man denke nur an die geschmeidige, stets der Sprache folgende, zugleich aber mächtig und eigengesetzlich ausstrahlende Lineatur seiner Vokallinien oder an das Ende der Oper, wo sich zum Zeichen von Baals Tod ein weit aufgefächertes Klangfeld immer stärker verengt, bis ein Unisono und schliesslich ein einzelnes e erreicht ist. Mit «Baal» trat er für die narrative Oper ein; das Feld des nicht‐narrativen Musiktheaters hatte er mit den wortlosen «Spiegeln» und dem mit einer Kunstsprache arbeitenden Stück «Netzwerk» aus den Jahren 1978 bis 1980 spektakulär ausgeschritten. «Netzwerk» ist übrigens ein Stücktitel, der durchaus fürs Ganze spricht. Im OEuvre Friedrich Cerhas wächst das eine aus dem anderen, wird das Nächste aus dem Vorangegangenen entwickelt – und das jederzeit mit Bedacht, will sagen: in Verbindung mit fundierter Selbstreflexion, wovon die detaillierten Werkkommentare und der Korpus der Schriften zeugen. So wie die «Spiegel» von 1961 ihre Wurzeln in dem etwas früher, nämlich 1959 begonnen Orchesterstück «Fasce» haben, so geht «Netzwerk» auf die «Exercices» zurück, an denen der Komponist zwischen 1962 und 1967 gearbeitet hat. Und aus all diesen Stücken finden sich dann, nach der Art einer umfassenden Synthese, Errungenschaften in «Baal».

Auf «Baal» folgten mit dem «Rattenfänger» aus den achtziger Jahren und dem «Riesen vom Steinfeld» aus den späten neunziger Jahren zwei weitere Opern. Und obwohl die textlichen Vorlagen von sehr unterschiedlicher Provenienz sind – thematisch gibt es einen ganz klaren Fokus. Es ist die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Menge, das Lebensthema Friedrich Cerhas, seit dem Knaben in dunkler Zeit die Parole eingeimpft worden ist, dass der Einzelne nichts, das Volk aber alles sei. Jeder der drei Protagonisten steht im Widerstreit mit der ihn umgebenden Gesellschaft und ihren Normen: Baal in seiner exorbitanten Sinnenlust, der Rattenfänger mit seiner besonderen Fähigkeit, die ihn vom Retter zum Opfer und vom Opfer zum Rächer werden lässt, der Riese seiner Grösse wegen, die ihn zum Aussenseiter stempelt. Doch auch strukturell und weit über die drei Opern hinaus öffnete ihm das Nachdenken über die Beziehung zwischen Individuum und Masse ein Feld für manch ungewöhnliche konstruktive Lösung, und das bis ins Innerste musikalischer Ausformungen hinein – Leben und Werk stehen bei Friedrich Cerha in absolut direkter Verbindung. Besonders prägt sich das bei den zahlreichen Instrumentalkonzerten aus, und zu dieser Gruppe gehört das erstaunliche, weil überaus vitale, sinnenfreudige, ja verspielte Konzert für Schlagzeug und Orchester von 2008, das Stück eines notabene 82jährigen Komponisten; es liegt in einer fabelhaften Einspielung mit Martin Grubinger und den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Peter Eötvös auf dem Label Kairos vor, das für Friedrich Cerha sehr viel getan hat. Auch in dieser Partitur herrscht eine ganz eigene Art der Empathie, ja eine Kraft der Anverwandlung, hier nämlich der Anverwandlung von Möglichkeiten des perkussiven Ausdrucks, die in ein vielgestaltiges, lebhaft bewegtes, farbenreiches Kaleidoskop gefasst werden. Und das auf der Basis durchstrukturierter Formung; der Komponist spricht von einem magischen Quadrat, von dem er sich habe anregen lassen. Ganz beiläufig bemerkt er in seinem Werkkommentar, das Stück nehme am Ende den Anfang wieder auf, allerdings in spiegelbildlicher Folge, also in Krebsform. Wer, wenn nicht Friedrich Cerha, ist in der Lage, so authentisch und so persönlich an die Zweite Wiener Schule zu erinnern? Sie bildet seine ästhetische Heimat, der er bis zur Stunde und durch alle Böden, wenn auch in unverkennbar eigener Art treu geblieben ist. Da hätten wir sie wieder, die Sinnlichkeit und die aufrechte Haltung.

Der Rundgang durch den blühenden Garten dieses Lebenswerks ist zu Ende; nur an einigen wenigen Stationen haben wir Halt machen können, mehr war angesichts von Weite und Vielfalt dieser Anlage nicht möglich. Immer wieder fiel dabei der Blick auf ein reizendes kleines Gebäude mittendrin. Es ist die Laube von Gertraud Cerha, der Gattin, Mitstreiterin am Instrument und Exegetin; ohne sie wäre das Lebenswerk nicht, was es ist. Ihnen, verehrter, lieber Friedrich Cerha, die herzlichste Gratulation zur grossartigen Auszeichnung. Und Ihnen, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Laudatio auf Friedrich Cerha von Peter Hagman