Rebecca Saunders
Berlin 2019
© EvS Musikstiftung

 

Le son, c'est moi!

Fünf Versuche über Rebecca Saunders von Björn Gottstein

1. In Asturien, ungefähr zwei Kilometer vom Meer entfernt, am Fuße der Bergkette Picos de Europa, steht ein Häuschen, das vor langer Zeit in einen Fels hinein gebaut worden ist. Das Häuschen steht an einem Wald mit einem Fluss. Wenn man die Fenster schließt, ist man ganz für sich. Wenn die Nacht anbricht, erzählt Saunders, dann ist dieses Häuschen der dunkelste und stillste Ort der Welt. Es leben dort keine Tiere außer lautlose Libellen. Die Luft ist feucht und schluckt alle Geräusche: keine Vögel, keine Insekten, kein Wasserlauf, kein Wind, „just dense blackness and absolute emptiness“.

Es ist, wie Saunders sich erinnert, ein furchterregender Ort mit seiner archaischen Architektur, die zudem dem Hexenwerk geweiht ist, angefüllt mit Bildern, Puppen und was man sonst noch so benötigt, um böse Geister zu vertreiben. Die absolute Stille hatte etwas Lebloses, Totes. Das Haus glich einem Sarg. Erst als Saunders ihre Ohrstöpsel hervorholte und sich akustisch von der ungewohnten Umgebung abkapselte, hörte sie das Geräusch ihres zirkulierenden Blutes und ihres pumpenden Herzes, Geräusche des Lebendigen.

Wenn Saunders von diesem Besuch in Asturien berichtet, dann spürt man dabei auch eine gewisse Ehrfurcht. Sie betont, wie sehr sie dieses Erlebnis beeindruckt hat, zum einen, weil sie meist in Großstädten gelebt hat. Zum anderen, weil ihr etwas über die Bedeutung von Stille bewusst wurde, etwas über „das Gewicht und die Dunkelheit der Stille“, wie sie selbst sagt.

Natürlich erinnert diese Episode an eine berühmte Begebenheit aus dem Leben von John Cage, der ja auch einmal einen schalltoten Raum besuchte, um dort festzustellen, dass er in totaler Stille immer noch etwas hörte, nämlich einen tiefen Ton, seinen Blutkreislauf, und einen hohen Ton, sein, so wird es zumindest kolportiert, Nervensystem. Cages Stille-Erlebnis ist heute so etwas wie ein moderner Mythos der Neuen Musik. Es ist vielfach gedeutet worden, meist mit der Erkenntnis, dass es keine absolute Stille gibt.

Die Erfahrung, die Saunders in Asturien gemacht hat, wirkt fast wie ein Gegenentwurf zur cageschen Parabel. Saunders besuchte nicht absichtlich einen künstlich geschaffenen Raum, sondern sie erlebte Stille in einer natürlichen Situation. Stille widerfuhr ihr. “Weil mich diese absolute Stille beunruhigte, holte ich meine Ohrstöpsel hervor, um mich bei geschlossenen Ohren vom Klang meines strömenden Blutes beruhigen zu lassen“, erinnert sich Saunders. So machte sie nicht nur die gleiche Hörerfahrung wie Cage die Geräusche des eigenen Körpers betreffend, sondern entdeckte etwas, das man laut Cage nicht für möglich halten soll: absolute Stille. Saunders ist sicher nicht daran gelegen, Cage zu widerlegen oder ihn gar bloßzustellen.

Aber ihre Schilderung demontiert den cageschen Mythos. Saunders belehrt nicht, sondern sie beobachtet und stellt Fragen. Und sie zeigt, dass Stille unendlich viel mehr sein kann als die Abwesenheit von Geräuschen.

2. Aufgewachsen ist Saunders in Brixton in der Londoner Innenstadt, wo es „laut und extrem lebendig“ zuging. Heute lebt sie in Berlin, im Prenzlauer Berg. Zwei Millionenstädte, die pulsieren und über einen prägnanten akustischen Horizont verfügen. Saunders betont, wie wichtig eine solche urbane Umgebung für sie ist: „Die Energie und der Klang eines städtischen Ambientes gibt mir das Gefühl, lebendig zu sein. Mir gefällt es, meine Ohren scharf zu stellen und immer wieder neu auszurichten, mit meiner Wahrnehmung der Klangereignisse zu spielen, mit der Oberfläche der Klänge in der Kakofonie einer städtischen Klanglandschaft, bis zu dem Punkt, wo mir das alles wie ein fast schon betäubendes weißes Rauschen vorkommt.“

Stille ist also ein Ausnahmezustand. Etwas, das eine Situation außerhalb des Alltags herbeiführt. Stille ist Voraussetzung dafür, dass wir Klang als Musik, als Kunst wahrnehmen. Dass wir uns in das Gehörte versenken und einen anderen Zustand herstellen als den unserer gewöhnlichen Lebenswelt. „Stille ist wie die Leinwand hinter dem Klang“, schreibt Saunders. „Sie rahmt den Klang“. Als Träger und Rahmen weist sie der Stille zwei zentrale Funktionen des Kunstwerks zu, die aber weniger das Werk selbst, sondern vielmehr seine Bedingungen beschreiben. Die Musik selbst findet, wenn man im Bild bleibt, auf dem Träger und im Rahmen der Stille statt.

Stille ist ein in der Neuen Musik überstrapaziertes Epistegem; man spricht nicht mehr gerne darüber. Aber im Werk von Rebecca Saunders fällt der Stille eine besondere Bedeutung zu. Musik entsteht bei Saunders häufig aus der Stille heraus. Das „dal niente“ steht häufig am Anfang einer musikalischen Geste. „Drawing music out of silence.“ Stille ist Abwesenheit, die nach einer Anwesenheit verlangt. Stille ist bei Saunders nicht heilig, sondern eine dialektische Kategorie.

Immer deutlicher ist in den letzten Jahren ein Widerspruch in den Werken von Saunders offenbar geworden, ein produktiver Widerspruch, der den Werken eine klangliche aber auch eine strukturelle Identität verleiht. Es lassen sich zwei Grundprinzipien von Klang in den Werken von Saunders eruieren. Zum einen ein instabiler, sich aus der Stille heraus entwickelnder Klangtyp, statisch, reduziert, skelettartig. Zum anderen ein abrupter, direkter, gestischer Klangtyp, den Saunders einmal mit Zuständen der Wut in Verbindung gebracht hat, getrieben, aggressiv. „Es fasziniert mich, eine extreme musikalische Spannung aufzubauen, eine akustische Landschaft als aufgeladener und unbeirrbarer Energiezustand, der sich mit dem emotionalen Zustand des Zorns vergleichen lässt.“ In den Klavierstücken der Nullerjahre tritt dieser nackte Widerspruch offen zutage. Stücke wie Choler oder Crimson leben von diesem Gegensatz, dem statischen, unbeweglichen, zurückgenommen Stillstand einerseits, dem aggressiven, sprunghaften Ausbruch andererseits. Am Ende von Choler erklingt eine einfache, melancholisch vorgetragene Melodie, die einen Ausweg aus dem nicht auflösbaren Konflikt zumindest anzudeuten scheint. Die melancholische Wendung ist keine Versöhnung und Erlösung, sondern ein Gegenmoment, das die Heftigkeit der Wut unterstreicht. (Solche Wendungen finden sich häufig am Ende der frühen Werke von Rebecca Saunders, wo Spieluhren oder Schallplatten den Klangkonflikt aufzulösen scheinen.)

Potenziert hat Saunders diesen Widerspruch in jenen Werken, in denen sie beide Eigenschaften in einem einzigen Klangfragment vereint. Gelungen ist ihr das zum Beispiel in einigen jüngeren Werken für Streicher: im Violoncellokonzert Ire, im Streichquartett Fletch, im Violinkonzert Still und in Solitude für Violoncello solo. In den genannten Werken steht ein Doppeltriller im Mittelpunkt, der aber im Flageolett gespielt wird, wodurch der Klang instabil wirkt, er glissandiert, was seine Identität verschleiert, und er wird im Aufstrich, mit einer schießenden Gestik gespielt, wodurch der Klang an Energie, Volumen und Richtung gewinnt, wohingegen die mechanische Bewegung des Trillerns ihm etwas Manisches verleiht. Man kann ihn auf einer heruntergestimmten Saite ins Undefinierte treiben, oder ihn auf einer hohen gespannten Seite zuspitzen. Der Klang ist fragil, aber auch aggressiv und belastbar. Ein solcher Klang, der bereits einen Widerspruch in sich trägt, ist vielleicht die sinnfälligste Veranschaulichung der saundersschen Dialektik, aus der heraus sich ihr ganzer Klangkosmos fassen lässt.

3. Saunders erkundet in ihrer Musik immer wieder emotionale Zustände und Temperamente wie die Wut oder die Melancholie. In Titeln wie Choler oder Fury werden sie offenbar. Es sind Zustände, die etwas mit einer starken körperlichen Regung zu tun haben und die in physischen Klanggesten ihren Ausdruck finden.

Für Saunders lässt sich die Körperlichkeit von Ausdruck durchweg behaupten, auch wenn man sie sicherlich nicht darauf reduzieren kann; dazu ist der Bedeutungskosmos ihrer Werke zu vielschichtig. Wirft man aber einen Blick auf die körperliche Dimension der Werke, dann werden auf allen drei Ebenen, der der Komposition, der Interpretation und des Hörens körperliche Aspekte offenbar, am deutlichsten sicherlich im Bereich der Interpretation. Saunders beschäftigt sich nicht nur mit dem akustischen Phänomen des Klangs, sondern auch mit den Bewegungen des Körpers, die einen Klang, eine Geste, ein Klangfragment hervorbringen. Bevor sie mit dem Komponieren beginnt, arbeitet sie häufig mit Musikern, um Klangmaterial zu erforschen und ein enges Verhältnis zu ihrer Art zu spielen aufzubauen. Dieses Verhältnis wird evident in der Zusammenarbeit mit dem Trompeter Marco Blaauw, für den die Stücke Blaauw, Alba, White und Neither entstanden sind. Mit der Geigerin Carolin Widmann bei der Zusammenarbeit für Still, mit der Cellistin Séverine Ballon für Solitude, mit dem Klarinettisten Carl Rosman für Caerulean und Aether, mit der Sopranistin Juliet Fraser für Skin. Bei dieser Zusammenarbeit ging es zum einen darum, Klänge zu entdecken, darum, die Persönlichkeit der Musiker zu erkunden, aber, wie Saunders betont, auch um die „schiere Körperlichkeit ihres Spielens“ zu erleben.

In einem frühen Rezeptionszeugnis der saundersschen Musik schreibt Robert Adlington, dass „sie klingt, wie sie sich spielt“, er also eine besondere Korrelation zwischen der Bewegung der Musiker und dem erlebten Klang aufdeckt. Auch Saunders beschreibt den Zusammenhang zwischen physischer und musikalischer Geste besonders anschaulich im Zusammenhang mit Choler für zwei Klaviere, das Spuren einer Choreografie für zwei Pianisten enthält: „Der taumelnde Oberkörper, das Freisetzen des Klangs durch die physische Geste, die Choreografie der vier Arme, Handflächen, Handgelenke, der Gelenke und Fingerspitzen der beiden Spieler.“ Auch hat Saunders, als sie Choler schrieb, ausnahmsweise, wie sie gesprächsweise betont, alle Klänge selbst am Klavier erprobt: „Das Verhältnis der Spieler zu ihren Instrumenten ist kritisch. Es ist ein sehr körperliches Stück, was das Spielen, das Hören und das Zuschauen betrifft.“ Schon der Anblick eines Pianisten am Klavier evoziert einen ästhetischen Augenblick. „Es ist reines Theater. Das ist wunderschön.“

4. „Ich brauche nur wenig Input, um ein Stück zu schreiben“, erklärte Saunders einmal. „Die Spur des Fragments eines Klangs, der meine Aufmerksamkeit fesselt; eine einzige körperliche Geste, die aber eine Fülle von Potenzial und Bedeutung in sich verbirgt; eine besondere Klangfarbe und wie sie in einen anderen Klang übergeht; ein einziges Wort.“ Manchmal hat man das Gefühl, dass Saunders mit den Ohren nicht nur hört, sondern auch mit den Ohren liest, blickt, riecht und schmeckt. Oft liegt der Ursprung ihrer Werke außerhalb der Musik. In Büchern, Filmen, Bildern. Gemälde von Mark Rothko und Filme von Derek Jarman haben Spuren in ihren Werken hinterlassen. Chroma, eine raumgreifende Collage aus vielen verschiedenen Kammermusiken, ursprünglich einmal für die Londoner Turbinenhalle der Tate Modern konzipiert, verdankt seinen Titel Jarmans Buch der Farben. Ein anderes Beispiel ist der ungezügelte und schamlose Gedankenmonolog der Molly Bloom, mit dem James Joyces Roman Ulysses endet. Er zieht sich durch ihr gesamtes Œuvre, zunächst als poetischer Vorstellungsraum für Instrumentalwerke wie die Molly's Song benannten Werke, zuletzt auch mehrfach als vertonter Text, wobei der Monolog aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird: in O, in O Yes & I, in Flesh und vor allem in der räumlichen Collage Yes für Sopran, 19 Spieler und Dirigent.

Und wie hört Saunders Musik? Saunders ist in einem ausgesprochen musikalischen Haushalt aufgewachsen. Beide Eltern sind Pianisten, die Großeltern spielten Klavier, der Großvater war außerdem Organist. Im Haus gab es vier Klaviere. Gespielt wurde klassische Musik, aber auch Jazz. „Ich erinnere mich, dass ich als kleines Kind Bilder malte, während ich an der Wand im Arbeitszimmer meines Vaters saß und er übte oder Sänger unterrichtete. Und dass ich unter dem Klavier gelegen habe und mich die Resonanz des Instruments durchflutete.“ So war das Hören für Saunders von Anfang an eine körperliche Erfahrung. Sie selbst spielte Violine, mit Johann Sebastian Bach als ihrem wichtigsten Fluchtpunkt. Im Rahmen eines USA-Aufenthalts, als junge Komponistin schon, erlebte sie erstmals Musik von Morton Feldman, von der sie mit ganzem Leibe erfuhr, dass in der Musik ein anderer Sinn für Zeit und Raum möglich ist, dass in einem winzigen Detail oder Fragment eine ganze Welt verborgen liegen kann. Ihre Begegnung mit Wolfgang Rihms Chiffre-Zyklus ebnete dann den Weg zur eigenständigen Komponistenpersönlichkeit. „Seine Musik besaß für mich eine tiefe Sinnlichkeit und auch einen äußert komplexen und faszinierenden Umgang mit Klangfarben. Auch die lebensbejahende Kraft seiner Musik hat mich sofort angesprochen und ich wusste: dort soll ich hin.“ Saunders ging also nach Karlsruhe, um bei Rihm zu studieren.

Rihm war es auch, der eines Tages eine CD mit Musik von Galina Ustwolskaya mit ins Seminar brachte. Sie hörten gemeinsam das Duet für Violine und Klavier – eine überwältigende Erfahrung. „Ich war betäubt, atemlos, als das Stück endete. Ich hatte einen Zustand des Klangs erlebt, für den ich damals keinen Vergleich kannte. Das äußerste Fokussieren der Intention, die Klarheit und die Reinheit des musikalischen Ausdrucks; schamlose Leidenschaft und Besessenheit.“ Man kann dem, was Saunders an Ustwolskaya begeistert, in ihren eigenen Werken nachspüren, die enorme Körperlichkeit, die schiere Kraft der Musik selbst, die akute Geradlinigkeit des Ausdrucks.

5. Beinahe obsessiv hat sich Rebecca Saunders mit den Schriften von Samuel Beckett befasst. Fast könnte man sagen, dass Becketts Denken all ihre Musik grundiert. Oder dass die Texte Becketts in der saundersschen Musik eine Entsprechung, ein Echo finden. „Beckett wiegt jedes einzelne Wort, seinen Schatten, sein Echo“, schreibt Saunders. Seine Texte sind „gnadenlos direkt und außer­ordentlich fragil“. Ein gutes Beispiel sind die Sätze des Erzählers aus Becketts Fernsehspiel Ghost Trio, die Saunders ihrem Stück Skin zugrunde legt. „Dust is the skin of a room“, spricht eine Stimme im Film. In der für Beckett typischen Art verweist er auf einen Aspekt, der der Wahrnehmung üblicherweise entgeht. Er rückt etwas ins Zentrum, das wir, wenn überhaupt, nur als ephemer und nebensächlich wahrnehmen. Wenn Staub die Haut des Raumes ist, dann ist diese Haut durchlässig, unbeständig, partikulär. Natürlich widerspricht das unserem gängigen Konzept von Haut, die etwas ja eigentlich fest umschließt, die sich nicht ohne weiteres durchdringen lässt, die das Innenleben eines Körpers verbirgt. Bei Beckett löst sich die durch die Haut markierte Grenze auf, und genau dort setzt Saunders mit ihrer Klangforschung an. Wenn man aus Becketts Beobachtung eine Metapher ableiten möchte, dann könnte man sich vorstellen, dass in Skin eine Oberfläche musikalisiert wird, die eben jene Eigenschaften von Flüchtigkeit, Durchlässigkeit und Partikularisierung in sich trägt. Staub lässt sich als eine Oberfläche nur mit größter Aufmerksamkeit und Sorgfalt betrachten. Auch dies lässt sich bildlich auf die Musik übertragen: Die Akribie, die Genauigkeit, der schon fast wissenschaftliche Duktus des Erforschens von Klang ist in Saunders Werk zentral. Die Klänge werden erkundet und examiniert. Dabei kommt ein weiterer Zug der beckettschen Écriture zum Tragen, dass man nämlich die Wörter auf das notwendigste reduziert, dass man Sprache skelettiert, sie an den Rand ihrer eigenen Existenz bringt, an den Rand der Möglichkeit, etwas zu sagen. Oder um es mit Ulrich Pothast zu sagen: Beckett ist sprechend ins Schweigen eingegangen. Saunders, so kann man ihre Beschäftigung mit Beckett vielleicht zusammenfassen, überträgt dieses Vorhaben auf die Musik. Auch sie lässt Musik am Rande der Möglichkeit zu existieren entstehen. Stille ist immer ein Ausgangspunkt des Schreibens und des Hörens, aber es entsteht deshalb keine stille Musik. Der Versuch, nichts zu sagen, führt bei Beckett und bei Saunders unweigerlich dazu, dass gesprochen wird, „eine Essenz wird artikuliert“.

Auch andere für Beckett zentrale Begriffe haben in den Werken von Saunders immer wieder eine Rolle gespielt: in a visible trace, Stirrings Still, Stasis, murmurs und zuletzt vor allem Void, nach dem unter anderem ein Konzert für zwei Schlagzeuger und Orchester betitelt ist. ‚Void’ ist im Deutschen mit Leere oder Leerstelle nur unzureichend übersetzt. Der begrifflichen Mehrschichtigkeit von ‚Void’ ist die Widersprüchlichkeit des Nichts immanent. ‚Void’ bezeichnet einen Urzustand, einen Anfang, eine Leere, eine Fehlerstelle, eine Lücke, einen Hohlraum und eine Abwesenheit. Als Verb, ‚to void’, bedeutet es aufheben. „Die Stille“, schreibt Saunders, „verbirgt das Existenzielle.“ Im Umkehr­schluss heißt das auch, dass wir uns dem Existenziellen in der Musik nur über die Stille nähern können. In Void ist es der Versuch, durch eine ständige Verschiebung der Perspektive, durch eine Veränderung der Brennweite auf den Klang, etwas über eben diese Leerstelle zu sagen und zu erfahren. Dass in diesem Prozess eine ungeheure Dynamik liegt, dass sich die Musik mitunter regelrecht aufbäumt, steht dazu in keinem Widerspruch. Es ist die ungeheure Energie, die aufzubringen notwendig ist, um in dieses Terrain vorzudringen.

Es ist sicher bezeichnend, dass ausgerechnet der Schriftsteller, der von vielen Komponisten als unvertonbar galt, für den man nach dem Dafürhalten Paul-Heinz Dittrichs gar erst eine eigene Art der Musik erfinden müsse, bei Saunders im Mittelpunkt ihres gesamten Denkens steht. Saunders hat ihre eigene Klangsprache stets mit Bedacht, Schritt um Schritt entwickelt. Seit den ersten Erkundungen einzelner Klänge in den frühen Stücken hat sie mit jedem Stück einen weiteren Schritt gewagt. Das Ergebnis ist eben jene eigene, neuartige Musik, von der Dittrich redet und die der widersprüchlichen, sich selbst aufhebenden Gedankenwelt Becketts entspricht. Es ist eine Musik, die sich selbst aufzuheben in der Lage ist. Die die Bedingungen und die Möglichkeiten ihres Entstehens in sich trägt.

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