Gordon Kampe

Michael Rebhahn zur Arbeit von Gordon Kampe

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Einflussangst. Eingeführt vom amerikanischen Literaturwissenschaftler Harold Bloom, beschreibt dieser Begriff die Furcht des Schaffenden vor der Tradition. Bloom entwirft das Bild eines Künstlers, der sich von den vorangegangenen Generationen derart eingeschüchtert sieht, dass er zur eigenen, individuellen Äußerung kaum mehr imstande ist. Der Ausweg besteht einzig in der Liquidation des Widerstands – im sinnbildlichen Vatermord. Was Bloom für die Literatur geltend macht, lässt sich durchaus auch auf andere Sparten beziehen. Zumal die Entwicklung der Neuen Musik könnte man ohne weiteres als eine Folge solcher Überwindungen schreiben: Beständig wurden hier Patriarchen für tot erklärt, damit sich die Geburt ihrer Erben umso wirkungsvoller zelebrieren ließ.

Gordon Kampe muss niemanden metaphorisch ableben lassen, um seine Musik schreiben zu können. "In meinem Fall", sagt Kampe, "ist die treibende Kraft vielmehr eine explizite Einflussfreude". Dabei sind die Einflüsse, denen sich der 1976 geborene Komponist im wahren Wortsinn hemmungslos ausliefert, denkbar heterogen. Von der klassisch-romantischen Musiktradition und den Opern des Verismo spannt sich der Bogen über Literarisches (Petrarca, William Blake, H.P. Lovecraft), Filmisches (Stanley Kubrick, Akira Kurosawa) oder Bildnerisches (Velázquez, Günther Uecker) und gelangt rasch in Bereichen an, die mit der dünkelhaften Rede vom 'Populären' gemeinhin zur Tabuzone für zartfühlende Schöngeister erklärt werden.

Gordon Kampe liegt indessen nichts an einer planvoll durchgeistigten Musik, die ihre 'Erhabenheit' aus der mehr oder minder sinnfälligen Einarbeitung hochkultureller Intarsien bezieht oder durch die fadenscheinige Noblesse lehrbuchgemäßer Faktur zu bestechen sucht. Im Gegenteil: Kampe bevorzugt das Direkte, Unverblümte, Nicht-Verklausulierte. Stücktitel wie etwa Schmackes, Butter und Fische oder Gassenhauermaschinensuite mögen ebenso einen Eindruck von dieser Absage ans Geschmäcklerische geben wie die gerne gewählten Vortragsbezeichnungen 'immer feste druff' oder 'volle Möhre'.

Auch wenn sich an dieser Stelle das Bild des hemdsärmeligen Provokateurs aufdrängen mag: Von jeglichem Ikonoklasmus ist Gordon Kampe weit entfernt. Sein Komponieren folgt keineswegs dem Impuls einer Opposition gegen bestimmte musikalische Stile oder Strömungen. Vielmehr ist es das Resultat einer aufmerksamen ästhetischen Wahrnehmung, in der sich eine ganz andere Art von Feinsinnigkeit artikuliert, die eine nachgerade logische Distanz zu irisierenden Spektralakkorden oder der kennerisch eingestreuten Prise Rimbaud erzeugt. Kampes Sensibilität äußert sich im brillanten Erfindungsreichtum, mit dem er Welt in Musik setzt.

Mit Welt ist hier – ganz wittgensteinsch – all das gemeint, 'was der Fall ist', samt aller Widersprüche, Unstimmigkeiten und Absurditäten. Nichts wird exkludiert, die Kriterien 'inadäquat' oder 'illegitim' sind Kampes kompositorischer Praxis weitgehend fremd. Insoweit erwächst die Ungleichartigkeit der Anregungen und Materialien der prinzipiellen Bereitschaft, das alltägliche Erleben mit ästhetischem Zugriff zu grundieren. Vor dieser 'Vereinnahmung' ist letztlich nichts sicher – weder der zarte Schmelz Tschaikowskys noch die völlig verunglückte Übersetzung der Bedienungsanleitung einer elektrischen Weihnachtskerze, die dem Anwender 'teutonische Gemütlichkeit für trautes Heim' verheißt.

"Musik zu komponieren", sagt Kampe, "ist für mich zumeist wie ein Spiel, oft mit Dingen, die – aus der Ferne betrachtet – nicht zusammen gehören. [...] Während der Arbeit an einem Stück kann alles amalgamiert werden, was nicht bei drei auf den Bäumen ist". Mit Scharfsinn, Esprit und furioser Musikalität versteht es Gordon Kampe, diese Amalgame in Kompositionen von herausragender Eigenständigkeit zu fügen. Ein maßgeblicher Wesenszug dieser Musik ließe sich vielleicht mit einem Begriff einfangen, der auf den ersten Blick etwas abseitig anmuten mag, um sich beim Hören umso nachdrücklicher zu bewahrheiten: Ehrlichkeit.