Milica Djordjević

Anselm Cybinski zur Musik von Milica Djordjević

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Der erste Eindruck ist der eines tiefen, fast wilden Ernstes. Kaum zu domestizierende Kräfte treiben die Klänge hervor, immense Energien schieben die Entwicklungen an, nervöse Spannung hält den Innendruck aufrecht. So spröde, ganz und gar abstrakt sich die Oberfläche von Milica Djordjevićs Stücken darbietet, so rigoros jegliche Allusionen und semantisch besetzte Gesten darin gemieden werden, so unmittelbar sinnlich wirkt das Erklingende in seinen changierenden Texturen und seinem rhythmischen Sog. Auch daran mag es liegen, dass selbst relativ kurze und sparsam besetzte Arbeiten wie das Bläsertrio Phosphorescence (2015) beinahe monumental wirken: wuchtig und kompromisslos, bar jeden Dekors.

Das viel strapazierte Wort von der ganz unverwechselbar „eigenen Stimme“ – vielleicht ist es bei Djordjević tatsächlich einmal am Platze. Es ist eine kehlige, die körperlichen Mühen ihrer Hervorbringung offen eingestehende Stimme, stark und doch verletzbar, die aus den Arbeiten der jungen Serbin zu vernehmen ist. Eine Stimme mit „Körnung“, fast im Sinne von Roland Barthes’ Reflexionen über den Gesang. Dabei scheint es, als transportiere Djordjevićs Musik eigentlich gar keine „Kunst“, sondern belausche geradewegs die Natur selbst. Nicht die landschaftlich-pittoreske, symbolisch gebändigte Natur der abendländischen Tradition, versteht sich. Sondern die Kräuselungen und Bewegungen der Luft, deren tanzende Gasmoleküle sich unablässig neu mischen und jederzeit zum Wirbelwind formieren können. Vor allem aber die tönenden Emanationen der Erde, aus deren Tiefenschichten die Wärme emporsteigt, während gleich unter der Oberfläche allerhand Getier die poröse Krume durchwühlt. Rau, häufig gar roh im Gestus, verweigert Djordjevićs so vitale Tonsprache weniger Harmonie und Schönklang, als dass sie, durchaus lustvoll, das Erlebnis des Elementaren, prall Physischen gewährt. Oft zwingt dies die Musiker bis an die Grenzen spiel- und atemtechnischer Möglichkeiten: Verausgabung, ja Erschöpfung sind, als expressive Extremsituationen, essentieller Bestandteil der Erfahrung.           

Gewiss, die musikalischen Laute selbst, die feinstufige Skala der knirschenden, flatternden und fauchenden Vokal- und Instrumentalklänge in ihrem steten Fluktuieren, sie gehören seit längerem zum Inventar avancierten Komponierens. Milica Djordjević begnügt sich indes nicht damit, deren sensorischen Reizen nachzuspüren. Akribisch organisiert sie etwa in Sky limited für 19 Streicher (2014) einen vermeintlich statischen, wie von innen erzitternden Ensembleklang. Durchweg setzt dieser sich aus sehr unterschiedlich hervorgebrachten Tönen zusammen, wobei sich Balance und räumliche Wirkung ständig verändern. Die so entstehende Kontrapunktik der Timbres ist nicht nur in der Vertikale transparent aufgebaut. Mittels genauer Kalibrierung der Steigerungswerte und strenger Selbstdisziplin in der Entwicklung der Form wird die Vielstimmigkeit so dynamisiert, dass eine unmittelbar sinnfällige Verlaufskurve entsteht. Was dann dazu führt, dass die finale Steigerung wie mit Vollgas gegen einen stumpfen Widerstand zu prallen scheint. Während sich Djordjević intensiv um fassliche Prozesse bemüht, öffnet sie die formalen Konzepte immer wieder für spontane Entscheidungen entlang des Weges: Auch der technisch hochgradig kontrollierte Klang bleibt am Ende eine lebendige Materie, die nach intuitiver Handhabung verlangt.    

Die Neigung zum extrem Gespannten, tendenziell Exzessiven, wie sie sich auch im 2015 uraufgeführten Ensemblestück Rdja (zu Deutsch: „Rost“) zu erkennen gibt, der wohl farbigsten Arbeit aus Djordjevićs neuester Produktion, spricht für die existenzielle Dimension eines Komponierens, dem nichts ferner liegt, als die Selbstbezüglichkeit des L’art pour l’art. „I put my dark and anxious side on paper“, hat Milica Djordjević einmal in einem Interview geäußert, als von den dramatischen Steigerungskurven ihrer Stücke die Rede war. Sie hat laut gelacht dabei. Denn natürlich ist gerade ihre Kunst weder narrativ noch platt autobiographisch – und erst recht kein Psychogramm. Andererseits kommen die dunklen, innerlich aufgepeitschten Strecken der Partituren eben nicht von ungefähr. Dass die Entscheidung des vielseitig begabten jungen Mädchens aus Belgrad, sich ganz der Musik zu widmen zu einer Zeit fiel, als – es war im Jahr 1999 – die Bomben der NATO auf ihre Heimatstadt fielen, dass dieser Entschluss in jenen Wochen reifte, in denen die Schulen geschlossen waren und sich außer stundenlangem Klavierüben hinter verriegelten Fensterläden für die 15-Jährige keine anderen Aktivitäten anboten, was wiederum zur Folge hatte, dass Djordjević anschließend ihr Programm für die Aufnahmeprüfung an der Belgrader Spezialschule für Musik beieinander hatte – dies ist wohl mehr als ein anekdotisches Detail. Im von mehreren Bürgerkriegen geschüttelten Serbien erhielt die Musikerin eine handwerklich gründliche, ästhetisch indessen dezidiert konservative Kompositionsausbildung. Als sie 2007, inzwischen 23-jährig, zunächst mit Hilfe privater Förderer in Straßburg ihr Aufbaustudium aufnahm, da begannen jene arbeitsreichen Jahre, in denen sie unter Hochdruck den Anschluss an die Szene Westeuropas herstellte. 

Dass die Herausbildung der eigenen Stimme auch mit der Erkenntnis ihrer kulturellen Wurzeln zu tun haben würde, war der Komponistin wohl schon damals klar. Sowohl die rauen Timbres als auch der besonders enge melodische Ambitus ihrer Linien haben ihre direkte Parallele im traditionellen Gesang von Djordjevićs Heimat. Bekanntlich ist Serbisch eine „tonale“ Sprache: Auf betonten Silben verändert ein Heben oder Senken der Stimme die Bedeutung an sich identischer Laute. Es empfiehlt sich also, ganz genau zuzuhören. Es ist der Tonfall, der die Musik macht ...