Luis Codera Puzo

Vielfalt und Bestimmtheit

Eine authentische Suche ist immer vom Bestreben geleitet, zwei gegensätzliche Vorstellungen zusammenzubringen, zwei Ansätze zu verbinden, die sich zunächst einmal nicht zusammendenken lassen. Das gilt auch für die Suche, die das musikalische Schaffen von Luis Codera Puzo auszeichnet, da sie zwei ebenso kategorischen wie gegensätzlichen Ansprüchen vollständig und kompromisslos zu genügen sucht: So soll Musik einerseits nach größtmöglicher Integration streben, da in der Musik vor allem die Beziehungen, die notwendigen Verknüpfungen und der unauflösliche Nexus zwischen den einzelnen Elementen dominieren müssen. Andererseits ist in der Musik jede Vagheit und Undeutlichkeit auszuschließen, sind Kontraste klar und eindeutig zu halten. Kurz: In der Musik soll Bestimmtheit herrschen. Dass beide Vorstellungen so schwer miteinander vereinbar sind, liegt daran, dass der kategorische Imperativ der Integration in letzter Konsequenz ein Fließendmachen von Differenzen bedeutet – also eben das, was der zweite Imperativ definitiv ausschließt. In diesem Spannungsfeld zwischen Integration und Differenzierung, zwischen Kontinuität und Diskretheit, entfaltet sich Codera Puzos musikalisches Wirken. Zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn setzte der Komponist aus Barcelona die oben aufgezeigte Dichotomie in eine starke Betonung der zeitlichen Dimension von Musik um. So bildet in Scratching die zeitliche Anordnung des musikalischen Materials die Hauptachse, um die herum sekundäre Aspekte wie Timbre oder Klang gravitieren. In seinen nächsten Werken wandelt sich dieses Primat des Zeitlichen zu Gunsten eines neuen kompositorischen Ansatzes. Mit seiner neuen Herangehensweise sucht Codera Puzo primär die gegensätzlichen Begriffe von Einheit und Multiplizität als Manifestationen ein und desselben Konzepts darzustellen. Diese Idee zeigt sich schon in Kaolinite [Al2Si2O5(OH)4] Quartet: Das Stück untersucht anhand der Tonerdesorte Kaolin als metaphorischem Bezug die plastische, formbare Dimension von Musik als essenzielle Kehrseite authentischer Festigkeit. Das Konzept konsolidiert sich in Codera Puzos Aproximación a lo indivisible – zu Deutsch "Annäherung an das Unteilbare" –, seinem bisher reifsten Stück. Darin sucht er – ausgehend von drei Texten über die Vielfalt in verschiedenen Sprachen – das Einfache und Ungeteilte durch Multiples und Heterogenes greifbar zu machen. Beachtung verdient der Titel nicht nur in Bezug auf das, was er über das Stück aussagt, sondern auch auf das, was er zum Charakter von Luis Codera Puzos musikalischer Intention ganz allgemein anklingen lässt: Angetrieben und beseelt von unablässiger Suche und ständiger Überprüfung der eigenen Grundsätze, bleibt es dennoch stets in nächster Nähe des unteilbaren Kerns.

José María Sánchez de León
Übersetzung: Sebastian Viebahn