Timothy McCormack

von Tim Rutherford-Johnson
Übersetzung: Julia Zupancic

I.

Zwei Tänzer stehen nebeneinander, ihre Arme und Torsos bewegen sich durch denselben Raum; sie berühren sich nie, doch bleiben sie stets in Kontakt, in stillem Einverständnis. In der Erdgeologie werden Gesteinsschichten aufeinander und nach außen gepresst, sodass sich Oberflächenstrukturen bilden: Berge, Mulden, Inseln. Ein Künstler wählt und kombiniert verschiedene Arten von Ton und Glasur, bevor er sie in den Ofen stellt – ohne zu wissen, wie sie reagieren werden.

Diese Beispiele können als Metaphern für Timothy McCormacks Musik dienen. Es sind Metaphern von Kombination und Kommunikation. Von Kraft und Konsequenz. Von Präsenz und Ausdruck.

Für McCormack ist die Choreographie William Forsythes immer wieder eine große Inspiration gewesen. Mit dessen Werk wurde er von Liza Lim an der Universität Huddersfield (UK) bekannt gemacht; in Harvard studierte er mit der früheren Forsythe-Tänzerin und langjährigen Mitarbeiterin Jill Johnson. Den Titel für ein Ensemblestück aus dem Jahr 2010 entlehnte er Forsythes One Flat Thing, reproduced – ein Werk, das den Ansatz des amerikanischen Choreographen beispielhaft vorführt.

Seinen Tänzern gibt Forsythe ein loses Rahmenkonzept, jedoch keine musikalischen Hinweise an die Hand. Befreit von strenger äußerer Regie bewegen sie sich in enger Abstimmung aufeinander; sie arbeiten zusammen, um sich und ihre Partien innerhalb des übergreifenden Plans zu orientieren. Ebenso wird McCormacks Musik weder von einem Dirigenten noch durch das altbekannte Verfahren von Taktstrichen koordiniert, sondern durch Netzwerke von internen Signalen und Anweisungen, die von den Musikern erfordern, sich gegenseitig genau zuzuhören. In beiden Fällen fungiert das Medium als unmittelbarer Kanal für soziale Interaktion: Klänge an sich, Bewegungen an sich.

 

II.

Sowohl Instrumente als auch Musiker haben schon immer eine zentrale Rolle in McCormacks Musik gespielt: von den virtuosen Darbietungen der frühen Stücke wie z.B. Disfix und The Restoration of Objects (beide aus dem Jahr 2008) – geschrieben für das australische ELISION Ensemble bzw. für das amerikanische JACK Streichquartett – bis zum 70-minütigen WORLDEATER (2016) für zwei Posaunen: einem gewaltigen Organismus aus Atem, Lippen und Messingrohren. Dies ist auch später noch der Fall – McCormack sagte einmal: „Das Instrument selbst ebenso wie der Musiker-Instrument-Apparat sind entscheidende Faktoren dafür, wie ein Stück klingt und sich verhält.“ Der jugendliche Überschwang beruhigte sich allerdings zu einer mehr verinnerlichten Ausgestaltung, an der Interpreten und Hörer gleichermaßen teilhaben, während sich das Stück entfaltet.

Damit ging eine Erweiterung des Umfangs einher: WORLDEATER und eine andere jüngere Arbeit, your body is a volume (2017, wieder für das JACK Quartett), dauern jeweils über eine Stunde. Andere Werke erstrecken sich über 30 Minuten. McCormack selbst spricht von außermenschlichen Zeitmaßstäben, und einige Werke greifen explizit auf eine geologische Bildsprache zurück. KARST (2015–16) für 22 Musiker nimmt seinen Titel aus dem Spektrum geologischer Formationen, die entstehen, wenn angesäuertes Wasser auf weiches Gestein trifft (Kalkstein, Dolomit etc.). Die Veränderungen mögen nur langsam eintreten, doch kommen sie nie zu einem Halt, auch wenn es sich um nicht viel mehr als den Effekt aufeinander folgender Tropfen handelt. Da sie sich immer in Bewegung befinden, sind solche Umgebungen wie auch McCormacks Stücke eher architektonischer als narrativer Natur; man sucht nicht nach ihrem Anfang und Ende, sondern tritt vielmehr in sie und in die Räume, die sie hervorbringen, ein. „Es verschlingt unsere Welt und ersetzt sie mit der eigenen“, heißt es in der Programmnotiz zu WORLDEATER.

 

III.

„In meiner Musik gibt es weder Töne noch Rhythmen”, berichtete McCormack einst einem Interviewer. Er spielte damit auf seine Präferenz für gestenhafte gegenüber gemessenen Rhythmen an sowie auf sein bevorzugtes Verfahren, Klänge durch Bündelung der Kräfte von Interpret und Instrument statt durch das Festlegen von Tonhöhen zu erzeugen. (Etwa zu jener Zeit entdeckte er auch William Forsythes Choreographie.) Obwohl seine Partituren noch Spuren von traditioneller Notation enthalten – so gibt es eine Art Notensystem, Notenhälse und -köpfe –, handelt es sich dabei mehr um Anweisungen für Aktionen (etwa die Geschwindigkeit des Bogens oder die Position des Fingers) als für klar umrissene Klangresultate.

Jüngste Inspiration empfing McCormack von der Keramikkunst Nishida Juns (1977–2005). In seinen Brennöfen verbindet Jun gewaltige Mengen von Glasur und Feldspatporzellan; die Resultate kennt er erst, wenn er ihre klotzigen Formen aushebt und aufbricht. Was er dann vor sich sieht, sind die chaotischen Auswirkungen von Materialien, die unter Hitze und Druck interagieren.

Ähnlich wie Juns Keramik erfahren wir die Musik McCormacks nicht im Sinne einzelner Gestalten, die wir in Erinnerung behalten – also nicht „erst passierte dieses, dann jenes“ –, sondern als Folge von Spannungszuständen zwischen zwei Dingen: vergleichbar mit der Wirkung von Kohlensäure auf Kalkstein, mit einem Arm, der über einen Körper hinwegzieht, oder mit dem Schmelzen von Glasur in Ton. Nach und nach schreibt es sich uns ein während wir zuhören, und die Hörerfahrung nimmt eine ganz eigene Form an.

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