Fotos: Manu Theobald

 

Christian Mason

Das Licht, natürlich; der Glanz. Sie leuchten aus Christian Masons Musik und erstrahlen in ihr, wie bei anderen Komponisten, über Gérard Grisey zurück bis zu Guillaume Dufay und zu den anonymen Urhebern gregorianischer Gesänge (um nur einiges Verwandte zu nennen), und dies rührt aus der Art, wie sich Klang und Resonanz verbinden. Licht und strahlender Glanz stellen sich selbst dann ein, wenn Mason – wie die, die ihm musikalisch am nächsten stehen, etwa Scelsi, Radulescu, Stockhausen und auch Grisey – mit komplex hallenden Resonanzen arbeitet: dem Klang von Glocken womöglich, oder dem Geräusch von Wind, der durch reifbedeckte Bäume weht. Solch leuchtender Zusammenklang mag sich bei Mason aus seiner Kenntnis spektraler Musik herleiten, doch wohl ebenso auch aus realer Hörerfahrung und eigenem Erleben. ‘Wenn Du Geige spielst’, sagt er, ‘klingt die leere E-Saite im Ohr wie eine Glocke.’

Es lässt sich beobachten, wie dieses hohe E durch Masons ganzes Schaffen hindurch wiederklingt. Es ist gleich zu Beginn da, schon in der Einleitung zu einem seiner frühesten Werke, dem Klavierstück just as the sun is always… (2006); mehr noch, es gibt den Impuls zu den hellen Harmonien und klaren melodischen Formen des Stücks; das hohe E ist wie ein kristallener Samen fast durchweg gegenwärtig oder zu ahnen, bis es am Ende um eine Oktave in noch höheres Licht transponiert wird. In Masons erstem Stück für die Violine, When Joy Became Mixed With Grief (2007), ist der Klang der leeren E-Saite wichtig, wie auch in seiner jüngsten Geigenkomposition, Learning Self-Modulation (2011). Ihr hoher Ton fokussiert gleichfalls das Orchesterwerk Isolarion (2012-2013), und er leuchtet fast durchgängig aus der warmen Mitte der Years of Light (2013) für großes Ensemble mit zwei Sängerinnen.

Allein schon diese Titel verdeutlichen zwei wichtige Merkmale des Masonschen Werks. Einmal natürlich die Lichtmetaphorik (‘Isolarion’ wohnt ‘solar’ inne)—und sie mag mehr denn nur als Metapher erscheinen, wenn man die Sternschnuppenschauer im Orchesterwerk Clear Night (2007-2008) wahrnimmt, oder das Glimmen aus Noctilucence (2009) für acht Instrumente. Hinzu kommt, dass Mason sich traut, sich auf Gefühle einzulassen—wenngleich niemals in der Musiksprache, der von Dur und Moll, über die sie in der Vergangenheit vermittelt wurden. Die leuchtenden Klangresonanzen in Masons Musik haben sich vom Dreiklang frei gemacht.

Das Ergebnis ist Ausdruck einer besonderen Kraft, die Gefühle in reine Zustände wandelt, in  freudige Melancholie oder melancholische Freude, oder in Exstase, Verwunderung und Überschwang, die allesamt zu den Lichtklängen gehören. Ihre Stärke erzielt die Musik nicht nur, weil sie in ihrer Unmittelbarkeit ihren Weg ohne den Dreiklang findet, sondern weil sie als Ritual verstanden sein will.

Dies ist weit weniger eine Sache der Form als der Einstellung. Mason fügt seine Musik nicht aus getrennten Blöcken, nach Art Messiaens; auch wenn er die Werke in Sätze einteilt, behalten sie einen durchgängigen Puls. Dieser Puls zieht uns als Hörer durchaus in seinen Bann, und doch scheint er einem Bereich jenseits der menschlichen Ordnung zuzugehören. Wir schauen in Ehrfurcht, um eine Analogie aufzugreifen, die Clear Night nahelegt, zu den ungezählten Sternen auf und gewinnen, noch über die Erfahrung des Schönen hinaus, ein anderes Maß für Raum und Zeit. Aber wir können uns dabei nicht vorstellen, dass sie für uns geschaffen sind.

Natürlich hinkt der Vergleich. Masons Musik ist ganz eindeutig für uns gemacht und entzückt das Ohr mit ihren Klängen und Klangverwandlungen. Gleichzeitig aber ruft sie Zustände und Räume auf, durch die wir gleichsam zeremoniell schreiten. Zeremonien haben Gestaltungsmacht über die Zeit, sie lassen sie schweben, sich vorwärts tasten, lassen sie eilen oder, gelegentlich, tanzen, wie beispielsweise im Abschnitt vor dem beunruhigenden Schluss von Noctilucence. Zeremonien hüten auch ihre Momente der Stille.

Mehrere Kompositionen Masons haben Bezug zum Rituellen, zum Transzendenten, das Riten innewohnt oder der gewandelten Befindlichkeit, den ein Ritus herbeiführen kann. Ein Beispiel, wo wir hören und sehen, wie ein Ritus gleichzeitig von und an den Musikern vollzogen wird, ist mit Learning Self-Modulation gegeben, dessen sechs Sätze von synkopierter Erregung zu einem verklärten, hypnotisierend fremden Finale fortschreiten, in dem die Violinistin zu ihrem bebenden Solo (gespielt auf einer umgestimmten, hinter dem Klavier hervorgeholten Geige) eine Vokalise singt, zu der sie der Pianist auf japanischen Schalengongs begleitet.

Mit ‘modulation’ ist hier zunächst eine verändernde Wirkung auf das Selbst gemeint, ein Beruhigen, das womöglich auch die Wachheit steigert. Doch es bedeutet auch Modulation im musikalischen Verständnis, die hier hinführt auf die Offenbarung einer einfachen Modalphrase, die gleichsam schon von Anfang an erklingen wollte. Mason hat eine besondere Gabe, solche Phrasen, wiewohl sie nur aus einigen wenigen Tönen gefügt sind, in seine Musik frisch und fast magisch einzuführen, wie Geschenke aus einer anderen Welt.

Solch eine Phrase tritt, im Gegensatz dazu, in seinem eindrucksvollen Isolarion schon früh auf. Der Werktitel spielt auf Landkarten an, die kleine Gebiete im Detail, die geographische Umgebung aber nur verschwommen zeigen. Das Stück durchmisst Zonen von Majestät und Kraft, von äußerster Zartheit und von Stille unter blauem Himmel: es verbeugt sich zuweilen vor Vivier, doch schreitet es unaufhaltsam voran in der ganz außerordentlichen Vollkommenheit seines musikalischen Satzes, in seiner Einmaligkeit.

In anderen Kompositionen verhilft eine besondere Instrumentierung oder Anordnung auf ähnliche Weise dazu, dem Vertrauten zu entkommen und das der Musik innewohnende Eigene zu entdecken. In Looking for the Land that is Nowhere (2010) wabert ungezügelt das  Theremin im und aus dem eng verflochtenen Klangnest der Skordaturen, der umgestimmten Saiten auf den Instrumenten von acht Streichern. Das Werk In Time Entwined/In Space Enlaced (2008) sieht drei getrennte Instrumentaltrios vor, jedes mit einem Schlagzeuger, und dazu sechsunddreißig Harmonika-Spieler, die plötzlich wie genauso viele fremde Vögel erscheinen im Moment, da die Wechselbotschaften der Musiker auf der Bühne ihren Höhepunkt erreichen. Und Harmonikas, wie ebenso räumlich getrennte Spielgruppen, bilden auch wieder das Ensemble von The Years of Light, dessen Musik sich ständig glühend immer wieder neu erfindet: Musik, die langsam pulsiert wie die sich drehende Sonne.

Paul Griffiths

Übersetzung: Hans Walter Gabler